Mit Geduld, Motivation und Liebe

Wenn ältere Menschen nach einem Unfall oder aufgrund einer Erkrankung ins Spital müssen, ist dies oft mit Ängsten und viel Unsicherheit verbunden. Manch ein Patient stellt sich die Frage: «Kann ich wieder nach Hause? Und wenn – komme ich dort so zurecht wie bisher?» Dr. med. Ramin Atefy und sein Team kümmern sich um genau diese Patienten.

In der sechsten Etage im Spital Langenthal befindet sich eine ganz besondere Abteilung: die Geriatrische Akutrehabilitation. Sie umfasst zehn Betten für ältere Patienten, die akut spitalbedürftig sind und hier eine ganz besondere Behandlung erhalten, wie Dr. med. Atefy, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin sowie Psychiatrie und Psychotherapie, erklärt:

«Unser Ziel in der Geriatrischen Akutrehabilitation ist es, die Patienten während ihres Spitalaufenthaltes durch ganz gezielte Therapien so weit zu fördern, dass sie in ihre bisherige Wohnsituation zurückkehren können.»

Klare Voraussetzungen

Kann ein älterer Patient nach Abschluss der Behandlung auf der normalen Station nicht nach Hause, wird abgeklärt, ob die Geriatrische Akutrehabilitation für ihn ein geeigneter nächster Schritt ist, um dieses Ziel zu erreichen. Doch dafür müssen die Patienten gewisse Voraussetzungen erfüllen, wie der Facharzt betont: «Das Wichtigste ist, dass die Patienten eine solche Reha überhaupt machen wollen und auch den Willen zeigen, aktiv mitzumachen. Dies beinhaltet auch die Bereitschaft, für Neues offen zu sein und im neuen Alltag vielleicht ein paar Dinge zu verändern.» Auch die geistige und mentale Gesundheit spiele dabei eine grosse Rolle, ergänzt Ramin Atefy: «Die Psyche ist ein sehr wichtiger Faktor, denn oft haben gerade ältere Patienten Ängste und Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem, was auf sie zukommt. Sie auch in diesem Bereich zu stärken, ist genauso wichtig wie unser Fokus auf die körperliche Gesundheit und Fitness.»

 

Tausend Fragen

Ist die Entscheidung gefallen, stehen am Anfang des Reha-Prozesses mehrere sogenannte Assessments – also das Abfragen von bisherigen Behandlungen, körperlichen Fähigkeiten, eine Beurteilung der psychischen Gesundheit, des derzeitigen körperlichen Zustandes und so weiter. «Dieser erste Schritt ist wichtig, um überhaupt einschätzen zu können, wo der Patient gerade steht und welche Perspektiven vorhanden sind», weiss Dr. Atefy. In diesen Prozess sind nicht nur etliche Fachleute einbezogen, sondern auch der Patient. «In den Köpfen vieler älterer Patienten besteht immer noch die Vorstellung, dass allein der Arzt bestimmt, was gemacht wird. Bei uns ist dies anders, denn wir arbeiten als Fachpersonen alle zusammen – und vor allem wird auch der Patient zentral mit einbezogen.»

Therapie nach Mass

Gemeinsam werden mit dem Patienten die Ziele definiert, die innerhalb der nächsten ein bis drei Wochen erreicht werden sollen. Und dies bedeutet konkret, dass die Patienten drei Therapieeinheiten pro Tag absolvieren. Darin eingeschlossen sind Physiotherapie, Ergotherapie und die Ernährungsberatung. Bei Bedarf wird auch die Logopädie hinzugezogen, und die Sozialberatung ist ebenfalls mit eingebunden oder zumindest informiert. All diese Berufsgruppen sowie die Pflege, die alle Patienten eng begleitet, sind mit dabei, wenn für einen Patienten das individuelle Programm zusammengestellt und zweimal pro Woche eine Zwischenbilanz zu jedem Patienten gezogen wird. Dr. Atefy: «Der Patient ist Teil des Entscheidungsgremiums, wenn es um die Anpassung verschiedener Massnahmen oder die Einschätzung der aktuellen Situation geht. Auch in den Entscheidungsprozess werden sowohl der Patient und auf Wunsch auch seine Angehörigen mit eingebunden.»

Ernährung und Bewegung – zentrale Punkte

Im Prozess der Geriatrischen Akutrehabilitation spielen Ernährungsberatung und Bewegung eine sehr zentrale Rolle. Mit zunehmendem Alter verlieren wir an Muskelmasse, da wir uns generell weniger bewegen. Stattdessen erhöht sich der Fettanteil im Körper. Der Facharzt klärt auf: «Diesen Prozess des altersbedingten Muskelschwundes nennt man Sarkopenie. Ab dem 50. Lebensjahr verlieren wir jährlich ein bis zwei Prozent unserer Muskelkraft, danach sogar etwa drei Prozent. Ohne Gegenmassnahmen hat man im Alter von 80 Jahren etwa 40 Prozent seiner Muskelkraft eingebüsst. » Nimmt die Muskelkraft ab, entstehen Unsicherheit beim Gehen und Ängste, hinzufallen. Also bleibt man vermehrt drinnen, sitzt viel und pflegt nur noch eingeschränkt soziale Kontakte... Dass Muskulatur verloren geht und durch Fettmasse ersetzt wird, sieht man nicht auf den ersten Blick, denn der Body-Mass- Index (BMI) kann auch bei älteren Patienten absolut im grünen Bereich sein. Doch meist stimmt eben das Verhältnis vom Muskel- z m Fettgewebe nicht. Ramin Atefy weiss: «Oft hört man, dass man weniger Nahrung braucht, wenn man älter ist. Das stimmt aber nicht – im Gegenteil. Man braucht wesentlich mehr Proteine, also Eiweisse, sowie andere Aufbaustoffe, um den Anteil an Muskulatur zu erhalten. Daher ist es uns gerade in dieser Rehabilitationsphase so wichtig, die älteren Menschen ganzheitlich zu behandeln – in den Bereichen Ernährung, Bewegung und Psyche.»

Zum Experten werden

Während den sieben, 14 oder 21 Tagen der Geriatrischen Akutrehabilitation soll ein ganz grosses Ziel erreicht werden, nämlich, dass die Patienten selber zum Experten für sich selber werden, betont Ramin Atefy: «Einem Patienten etwas überzustülpen oder ihm etwas aufschwatzen zu wollen, was für ihn gut ist, bringt nichts. Der Patient muss verstehen und selber erleben und spüren, was ihm guttut und was es braucht, um gewisse Dinge im Alltag zu verändern. Er muss Experte für sich selber werden und erkennen, wann es ihm körperlich und psychisch gut oder eben schlechter geht. Nur so kann er das, was er bei uns in der Geriatrischen Akutrehabilitation lernt, auch mit nach Hause nehmen und dort weiter umsetzen.»

Grosse Dankbarkeit

Kann ein Patient nach der Geriatrischen Akutrehabilitation in sein gewohntes Umfeld zurückkehren, ist die Freude gross – und zwar auf beiden Seiten. Dr. Atefy: «Alter ist keine Krankheit. Auch Menschen mit mehr Lebenserfahrung können noch vieles lernen und ihr Potenzial, das sie noch haben, erkennen und ausschöpfen.» Dazu leisten während der Reha sowohl die Therapien, die Ernährungsberatung wie auch die psychiatrischen Gespräche ihren Anteil. Briefe und Karten zeugen von der Dankbarkeit vieler Patienten und bestärken das Team, sich weiterhin für jeden seiner Patienten einzusetzen: mit viel Motivation, Liebe und Geduld.

Übersicht Geriatrische Akutrehabilitation

Die Akutrehabilitation umfasst

• Behandlung durch ein interdisziplinäres Team unter medizinisch-fachärztlicher Leitung

• Erarbeitung eines individuellen Trainingsprogramms

• Täglich drei Trainingseinheiten mit Physio- und Ergotherapie sowie Ernährungsberatung

• Experte für die eigene körperliche und psychische Gesundheit werden

• Ausgleich von Mangelzuständen durch ernährungstherapeutische Beratung und Begleitung

• Ein- und Austrittsgespräche, auf Wunsch unter Einbezug von Angehörigen

Text: Nathalie Beck
Fotos: Manuel Stettler, stettlerphotography.ch

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