24 Stunden für alle Fälle gewappnet

Die SRO AG, Spital Region Oberaargau, gewährleistet die medizinische Versorgung für die gesamte Region. Dazu gehören auch der Rettungsdienst und die Notaufnahme am Spital Langenthal. Um die Versorgung Tag und Nacht gewährleisten zu können, ist eine aufwendige Organisation im Hintergrund nötig. Und es braucht Mitarbeitende, die auch nachts in der Lage sind, von null auf hundert für die Patienten da zu sein.

Wer im Rettungsdienst arbeitet, muss das Unerwartete mögen. Und auch nachts von null auf hundert präsent sein. Denn man weiss nie, was einen erwartet. Mit dem Rettungsdienst des Standortes Madiswil durch die Nacht.

Madiswil. Team 601 übernimmt um 19 Uhr die Nachtschicht. Thomas Subczinski, 52, seit 16 Jahren Rettungssanitäter der SRO AG, und Franco Eckert, 33, seit 4 Jahren als diplomierter Rettungssanitäter im Dienst, besprechen sich mit dem Tagesteam. Es geht um die Fahrzeugtechnik, die Tablets und die Zusatzbatterie, die immer wieder mal Probleme macht. Dann erfolgt der obligate Fahrzeugcheck. Thomas Subczinski  und Franco Eckert öffnen jede einzelne Schublade, prüfen den Druck in der Sauerstoffflasche und nehmen eine Funktionskontrolle des Warnblinkers und des Blaulichts vor. «Unsere Rettungsfahrzeuge sind fahrende Intensivstationen», meint Thomas Subczinski, während er die Intubationsinstrumente für die künstliche Beatmung überprüft.

20.10 Uhr. Zurück  im Teamraum. Kaum steht ein Kaffee auf dem Tisch, geht der Alarm los. «P2» zeigt das Diensthandy an. Bei einem sogenannten Priorität-2-Einsatz muss das Team innert drei Minuten losgefahren sein, ohne Sondersignal wie Blaulicht und Martinshorn. Bei P1 erfolgt die Abfahrt ebenso rasch, aber mit Sondersignal, da ein lebensbedrohender Zustand vorliegen könnte.

Margrith Weber*, 81 Jahre alt, hat starke Bauchschmerzen. Ihre Enkelin empfängt uns unten beim Eingang des Mehrfamilienhauses. Margrith Weber sitzt auf dem Sofa. «Grüezi, Frau Weber, wie geht es Ihnen?», begrüsst Thomas Subczinski freundlich die Patientin. Die beiden Rettungssanitäter arbeiten Hand in Hand, legen einen Infusionszugang, geben ihr Schmerzmittel, etwas gegen die Übelkeit und bringen sie anschliessend ins Spital Langenthal auf den Notfall, wo sie von einer Ärztin und einer Pflegefachperson empfangen werden.

Kaum sind die beiden Rettungssanitäter unten in der Garage des Spitals, geht der Alarm wieder los. P3 ‒ Sekundärtransport, eine Verlegungsfahrt vom Spital  Langenthal ins Kantonsspital Olten. Dem Patienten Peter Siegenthaler*, 65-jährig, wurde am Morgen eine Hüfttotalprothese eingesetzt. Es geht ihm schlecht. Er hat eine geschwächte Nierenfunktion und «sehr viele Nebendiagnosen», wie Thomas Subczinski nach einer kurzen Sichtung der Patientenunterlagen meint. Thomas Subczinski und Franco Eckert  wollen vom Arzt exakt wissen, warum der Patient verlegt werden muss, wie seine Vitalfunktionen sind, worauf sie beim Transport achten müssen. «Sobald wir die Türe des Rettungswagens zumachen, sind wir alleine für den Patienten verantwortlich», sagt Subczinski. «Je mehr wir wissen, desto besser», ergänzt Franco Eckert.

«Während meiner Ausbildung zum Rettungssanitäter lernte ich, wie man mit viel Fingerspitzengefühl kommuniziert und so auf die Patienten und deren Angehörige eingeht. Unser umfangreiches Fachwissen hilft uns, auch in komplexen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen», sagt Franco Eckert. Menschen, die den Rettungsdienst brauchen, sind häufig in einer Ausnahmesituation.

Abfahrt nach Olten um 22 Uhr. Er liegt im Fahrzeug, an der Decke hängen drei Infusionen, viele Schläuche, die Vitalfunktionen werden auf dem Monitor angezeigt und überwacht. Peter Siegenthaler schaut zum Seitenfenster hinaus und freut sich einen kurzen Moment, als er das Abendrot über dem Jura sieht. Die Klimaanlage sorgt für eine kühle Temperatur im Innenraum. Es ist eine ruhige Fahrt.

Rettungssanitäter der SRO arbeiten immer in 12-Stunden-Schichten, von sieben bis sieben. Die Nachtdienste im Einsatzgebiet der SRO sind oft anstrengend, da nachts ein Team weniger im Einsatz ist als tagsüber. Der kurze Wechsel zwischen den Tag-  und Nachtdiensten sei für den Körper eine zusätzliche Belastung, welche mit zunehmendem Lebensalter schlechter vom Körper ertragen werde, erklärt Thomas Subczinski.

Kurz bevor wir um 24 Uhr zurück am Stützpunkt Madiswil sind, kommt der nächste Alarm. «P1». Sondersignal und Blaulicht! In Wynau liegt ein Mann regungslos am Boden, nicht mehr ansprechbar. Der Disponent der Alarmzentrale in Solothurn ‒ über welche alle Einsätze im SRO-Gebiet disponiert werden ‒ geht von einer C2-Intox, einer Alkoholvergiftung, aus. «Man darf solche Situationen nie unterschätzen», erklärt Franco Eckert auf  der Fahrt an den Einsatzort. 

«Es könnten auch andere Gründe oder Verletzungen vorliegen.» Nach zehn Minuten sind wir dort. Der Patient ist wieder ansprechbar, lallt, ist latent aggressiv, torkelt auf die Strasse zu. Der  Fall ist rasch klar ‒ es liegt kein medizinisches Problem vor. Thomas Subczinski redet ihm zu, kann ihn überzeugen, dass für heute Feierabend ist und er sich privat nach Hause fahren lässt.

Aggressivität und Gewalt sind ein zunehmendes Problem, weniger auf dem Land, mehr in den Städten, wie beide Rettungssanitäter betonen. «Im Oberaargau ist man noch anständig miteinander», sagt Franco Eckert, halb im Spass, im Wissen, dass jeder Einsatz unerwartete Wendungen nehmen kann. Vor allem bei psychiatrischen Patienten, deren Anzahl in den letzten Jahren zugenommen habe. «Wir sind  aber geschult, wie wir in solchen Situationen deeskalieren können», so Subczinski.

Um 00.55 Uhr, nach bald fünf Stunden, sind wir das erste Mal wieder zurück am Stützpunkt Madiswil. Es wird ruhig. 

Um 3.30 Uhr geht der Alarm wieder los. «P1», Sondersignal nach Roggwil. Einsatzmeldung: «Nicht ansprechbare Person.» Eventuell ist wieder Alkohol im Spiel. Der Patient hat erbrochen, sich eingenässt, ist nicht mehr ansprechbar. Er wird nach einer längeren Versorgung vor Ort ins Spital nach Langenthal gefahren.

Das war der letzte Einsatz in dieser Nacht. Nach der umfassenden Reinigung des Ambulanzfahrzeugs kommen Franco Eckert  und Thomas Subczinski von 4.45 Uhr bis 7 Uhr zu etwas Ruhe, bevor wieder das Tagesteam  übernimmt. Von sieben bis sieben.

*Alle Namen der Patienten wurden geändert.

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