Wenn der Schmerz bleibt

Schmerz ist eine Sinneswahrnehmung unseres Körpers, wie man auch Berührung, Kälte oder Wärme empfindet. Schmerz ist aber auch ein Warnsignal, dass irgendetwas nicht stimmt. Bei akuten Verletzungen oder Erkrankungen ist Schmerz erklär- und behandelbar. Was aber, wenn für Schmerz keine Erklärung gefunden wird oder wenn der Schmerz nicht mehr verschwindet?

Dr. med. Christian Wölfel, Spezialist für Interventionelle Schmerztherapie im SRO, erklärt: «Der akute Schmerz signalisiert dem Körper, dass etwas nicht stimmt. Meist ist die Ursache eine Verletzung oder eine Erkrankung, die gezielt behandelt werden kann.»

Verschiedene Arten von Schmerz
Ist die Ursache für den Schmerz nicht mehr vorhanden oder feststellbar, der Schmerz ist aber noch immer da, spricht man von chronischem Schmerz. Das Nervensystem hat «gelernt», einen bestimmten Schmerz zu empfinden, obwohl die auslösende Ursache für den Schmerz nicht mehr vorhanden ist. Dies wird auch «Schmerzgedächtnis» genannt. Ab einem Zeitrahmen von sechs Monaten spricht man von chronischem Schmerz, einem eigenen Krankheitsbild.

«Nervenschmerzen oder neuropathische Schmerzen sind es per Definition, wenn Nervengewebe beschädigt worden ist, z.B. durch Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder durch operative Amputationen.»

Behandlung von Schmerzen
Bei akuten Schmerzen sollten Patienten in der Regel zum Hausarzt oder in den Notfall. Dr. Wölfel: «Durch eine entsprechende Behandlung verschwinden die Schmerzen meist nach drei Monaten. Ist dies nicht der Fall, ist oft eine Behandlung beim Spezialisten notwendig.» Meist haben diese Patienten schon über einen längeren Zeitraum Schmerzen, manche haben auch schon einen langen Weg hinter sich. «Für diese Menschen ist es wichtig, zu begreifen, dass man Schmerz nicht einfach wegoperieren kann. Die Beseitigung des Schmerzes muss als «Projekt» gesehen werden, in welchem der Patient, der Hausarzt und der Schmerztherapeut zusammen mit Physio-, Ergotherapeuten, Psychologen und oft auch dem Sozialdienst arbeiten müssen.»

Vertrauen als Grundlage
Bis ein Patient in die Schmerztherapie überwiesen wird, hat er oft schon einige andere Stationen durchlaufen – meist mit nur kurzfristigem oder mässigem Erfolg. Daher ist es wichtig, durch ausführliche Gespräche erst einmal Vertrauen zu schaffen, wie Dr. Wölfel bestätigt: «Das erste Gespräch hat eine enorme Bedeutung. Es hilft uns, die Situation des Patienten möglichst genau zu verstehen. Für den Patienten ist es nicht selten eine neue Erfahrung, dass wir uns diese Zeit nehmen und ihm so zeigen, dass wir ihn und sein Anliegen ernst nehmen und ihm glauben. Denn das Thema Schmerz ist sehr vielschichtig und oft spielen viele Faktoren eine Rolle.»

Ziel der Schmerztherapie
Dr. En-Chul Chang ist seit Oktober 2018 im SRO als Spezialist für Multimodale Schmerztherapie tätig und war vorher Leitender Arzt im Zentrum für Schmerzmedizin in Nottwil. Das Ziel der Schmerztherapie beschreibt Dr. Chang in einem sehr anschaulichen Vergleich: «Der Schmerzpatient schwimmt im unendlich grossen Ozean, allein und ohne Orientierung. Er versucht verzweifelt, nicht unterzugehen, und erblickt plötzlich eine Insel, die Insel «Schmerztherapie». Er schöpft Hoffnung, steuert die Insel an und erreicht sie schliesslich. Dort hat er die Möglichkeit, sich etwas auszuruhen, durchzuatmen, sich zu orientieren, ein neues Ziel ins Auge zu fassen und sich für die weitere Reise durch den Ozean auszurüsten. Dann schwimmt er wieder los – diesmal jedoch mit den richtigen Hilfsmitteln, einem klaren Ziel und in die richtige Richtung.» Genau so sieht Dr. Chang die Aufgabe der Schmerztherapie: «Wir geben dem Patienten die notwendigen Hilfsmittel, damit er sein eigener Therapeut wird. Und wir machen ihm klar, dass er Motivation, Geduld und Durchhaltevermögen braucht, um sein neues Ziel zu erreichen, und unterstützen ihn dabei.»

Den Schmerz beschreiben
In der Schmerzklinik des SRO machen die Ärzte immer wieder die Erfahrung, dass Patienten im ersten Gespräch ihre Schmerzen oft nicht konkret beschreiben können. Dr. Chang kennt dieses Phänomen: «Wenn Patienten bereits über einen längeren Zeitraum Schmerzen haben, können sie gar nicht mehr richtig differenzieren und den Schmerz klar beschreiben. Für viele ist dies eine echte Herausforderung, sich intensiv damit zu beschäftigen.» Aber auch der erste notwendige Schritt, um das Problem anzugehen.
 


Umgang mit Medikamenten
Oft greifen Patienten mit permanenten Schmerzen zu Schmerzmitteln. Durch die regelmässige Einnahme verringert sich die Wirkung, die Dosis wird erhöht. Dies funktioniert so lange, bis die Maximaldosis erreicht ist – und diese irgendwann auch nicht mehr ausreicht, um den Schmerz zu ertragen. Dr. Chang erläutert: «Durch den chronischen Gebrauch dieser Medikamente können ebenfalls Schmerzen entstehen,
und das eigentliche Problem wird dadurch überdeckt. Dies ist mit ein Grund, weshalb wir in der Schmerztherapie ganz andere Medikamente verwenden, als sie der Patient bisher eingenommen hat. Die Wirkungsweise ist eine andere, da wir es hier mit chronischen Schmerzen zu tun haben, die auf eine ganz andere Art entstehen als akute Schmerzen.»

Medikamente gezielt einsetzen
Bei einigen Schmerzkrankheiten können Medikamente besonders effektiv sein, wenn sie exakt an den Ort der Schmerzentstehung gebracht werden. Um diesem Ziel näherzukommen, sind oft verschiedenste diagnostische Infiltrationen, meist unter Röntgenoder Ultraschallkontrolle, notwendig. Dr. Chang versichert: «Diese speziellen Spritzen können einige Zeit in Anspruch nehmen, um diesem Ziel Schritt für Schritt näherzukommen, denn der Schmerz kann seinen Ursprung an vielen unterschiedlichen Orten haben. Oft haben die Patienten in dieser Phase Angst, als ‹Versuchskaninchen› missbraucht zu werden. Dies ist jedoch absolut nicht der Fall, sondern diese Stufendiagnostik ist notwendig, um den Schmerz möglichst genau lokalisieren zu können und am Ende ein klareres Bild zu erhalten.» Denn erst, wenn der Ort des Schmerzes gefunden ist, sind auch längerfristige und vor allem gezielte Therapien, bei denen dann oft Hitze oder Kälte anstatt Medikamenten eingesetzt wird, möglich.

«Urlaub» vom Schmerz
Selten ist eine echte Heilung möglich, da in den meisten Fällen Abnutzungserscheinungen behandelt werden. Eine deutliche Verbesserung ist jedoch in den allermeisten Fällen möglich. Dr. Wölfel unterstreicht: «Wir möchten erreichen, dass unsere Patienten wieder Vertrauen zu sich selber und in ihren Körper bekommen, wieder ‹normal› leben können und mit weniger Schmerzen zurück in den Alltag finden.» Dabei ist meist eine Physiotherapie zentraler Bestandteil der Massnahmen, um unter der Anleitung erfahrener Physiotherapeuten die Muskulatur gezielt aufzubauen. Damit stehen die Chancen gut, chronische Schmerzen in den Griff zu bekommen. Wenn diese trotzdem überhandnehmen, können dann wieder Infiltrationen zumindest zeitweise «Urlaub» vom Schmerz
erlauben.

Ziele setzen, Ziele erreichen
«Zielvereinbarungen sind ein wichtiger Punkt in der Schmerztherapie», macht Dr. Chang deutlich. «Denn der Patient muss bereit sein, neue Wege zu gehen, um Erfolge zu erreichen. Wenn bisherige Therapien nicht geholfen haben, kann auch eine neue Kombination von alten Therapien ein neuer Weg sein. Oder wenn bei einem Patienten am Befund nichts verändert werden kann, müssen wir eben am Befinden arbeiten, damit er den Schmerz weniger an sich ranlässt.» Hier bietet die Zusammenarbeit mit dem Psychosomatiker eine gute Ergänzung. Die Zusammenarbeit mit anderen Fachärzten, dem Hausarzt und den Therapeuten ist generell sehr wichtig, wie Wölfel und Chang einstimmig unterstreichen. Der wichtigste Partner ist und bleibt jedoch der Patient selber. «Wichtig ist», meint Dr. Wölfel abschliessend, «dass der Patient seine Aktivitäten über den ganzen Tag hinweg gut aufteilt und sich nicht selber überfordert. Eine gewisse Grundaktivität ist nötig, denn sie trägt wesentlich zur generellen Gesundheit und Mobilität bei. Und der Alltag soll schliesslich auch Freude machen.»

In diesem Sinne: Auf zu neuen Ufern!

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